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30.08.2012
Das soziale NetzKunstwerk - Karen Eliot
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  • An internet forum/ social network for Open Source Art projects: Artists always have unrealized ideas - things that just slumber in sketchbooks forever. We want to create a website, where users can propose such projects and leave it open for others to adop ...

    An internet forum/ social network for Open Source Art projects: Artists always have unrealized ideas - things that just slumber in sketchbooks forever. We want to create a website, where users can propose such projects and leave it open for others to adop....

    Das soziale NetzKunstwerk

    Karen Eliot, 2011

    Inhalt:

    1. Das Internet - Spielplatz für Künstler?

    2. Individualität und Individualisierung im Netzwerk

      2.1 Das Medium bin ich. Das Medium sind wir.

    3. Auf dem Weg zur demokratischen Kunst

      3.1 Luther Blisset und die Netzkunstpioniere

      3.2 Anonymität, Kollaboration und subversive Strategien

    4. Projektbeschreibung: Das soziale Kunstwerk, ein Online-Experiment

      4.1 Von Facebook zum Antifacebook und zurück

    5. Das Internet - Spielplatz für Künstler?

    Mit dem Internet entwickelt sich ein digitales Abbild der Welt. Man kann es zum Beispiel betrachten, indem man mit dem Mouse-Cursor auf Google Earth über die Erdoberfläche fliegt. Und wenn man hinein-zoomt findet man Bilder des jeweiligen Ortes mit detaillierten Informationen zur jeweiligen Adresse und sogar den Menschen die dort wohnen. Es ist ein Abbild der Welt, das stetig expandiert. Wir leben und arbeiten sogar in diesem Bild. Und das Bild selbst verarbeitet weiter, indem es automatisch immer neue Ansichten generiert - es jedoch ein großes kollaboratives Kunstwerk zu nennen wäre wohl zu viel des Guten.

    Wenn man bei einer Suchmaschine für wissenschaftliche Texte das Wort "Internet" eingibt, findet man hunderte Arbeiten zum Thema aus dem Bereich Wirtschaft, einige aus den Medienwissenschaften, aber nur sehr wenige, die sich mit Kunst und dem Internet befassen. Die Netzkunst wurde von vielen zu Beginn des neuen Jahrtausends totgesagt und gleichzeitig entwickelt sich das Netz zum wichtigsten Medium unserer Zeit.

    "The Internet is looked down upon as a primitive device, left to an in-crowd of 'net artists' that prefer to do formalistic experiments, combined with an subversive political action every now and then [...]" schreibt Geert Lovink über die Kunstszene in seinem Essay "New Media, Art and Science: Explorations beyond the Official Discourse"¹. Während wir uns täglich durch eine Bilderflut von Werbung klicken, gibt es nach wie vor kaum künstlerische Reaktion, Nutzung, Präsenz. Und das, obwohl der virtuelle Raum ein Raum ist, der dringend künstlerischer Eroberung und Besetzung bedarf. Eine Erklärung für dieses Phänomen kann die Nicht-Verkäuflichkeit digitaler Werke sein, die sie für den Kunstmarkt uninteressant macht.

    "Die technische Reproduzierbarkeit der Filmwerke ist unmittelbar in der Technik ihrer Produktion begründet. Diese ermöglicht nicht nur auf die unmittelbarste Art die massenweise Verbreitung der Filmwerke, sie erzwingt sie vielmehr geradezu." stellt Walter Benjamin 1977 in "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit"² fest.

    Das Digitale ist nicht einmal mehr an Datenträger wie beispielsweise Filmrollen geknüpft, die Frage nach dem wertvollen "Original" wird damit endgültig obsolet. Es scheint als würde sich das Geistige, welches sich über Jahrhunderte in Objekten zu manifestieren und damit greifbar, konservierbar zu machen versuchte, auf der Suche nach dem geeignetsten Medium nun wieder in seine ihm ähnlichste Form auflösen - der Form einer "Cloud". Aufgrund der dem Internet inherenten unkontrollierbaren Vervielfältigung von Bildern, Texten und Kompositionen, bangen AutorInnen weltweit um ihr Copyright und die damit verbundene Sicherung ihrer Existenz. Die Verwertungsindustrie ist ratlos, denn natürlich gibt es für jedes virtuelle Schloß einen Hack und die Gedanken sind frei - frei verfügbar, nutzbar und modifizierbar.

    "Mit anderen Worten, das Konzept des Remixing ist charakteristisch für die Kultur der globalen Netzwerkgesellschaft, in einem ähnlichen Sinne wie Konzepte des originären Werkes und der autonomen Künstlerpersönlichkeiten kennzeichnend waren für die Kultur der bürgerlichen Moderne." (Felix Stalder: Neun Thesen zur Remix-Kultur, 2009)³

    Hier ist unsere Gesellschaft an einem Punkt angekommen, an dem man diese bestehenden, aber überholten Systeme und Denkmuster grundlegend hinterfragen und verändern muss, anstatt die Symptome der Nicht-Kompatibilität von Kunstfreiheit und Vermarktbarkeit zu bekämpfen. Speziell in Bezug auf das Internet als künstlerisches Werkzeug stellt sich mir die Frage, wie man es in den Kunstbetrieb integrieren und nutzen kann. Ist die Vorraussetzung dafür eine Demokratisierung der elitären und hierarchischen Strukturen in der Kunstwelt an sich? Was genau hindert KünstlerInnen daran, diesen unendlichen Bildraum, diesen Kommunikations-Spielplatz für sich zu erobern? Welche neuen Anforderungen stellt das Medium an die Kunst und - im Gegenzug - welche Ausdrucksmöglichkeiten eröffnet es? Wie kann man seine künstlerische Nutzung vorantreiben und Leerstellen mit Inhalt füllen, die momentan vor allem von Werbe-Popups und Datenverwertungs-Kraken über-plakatiert werden?

    1. Individualität und Individualisierung im Netzwerk

    Um diese Fragen zu erörtern, will ich einige Funktionsweisen von Sozialen Netzwerken im Internet in Bezug auf allgemeine gesellschaftliche Strukturen untersuchen. Plattformen wie Facebook oder Xing erscheinen mir wie Schablonen, die sich über das natürliche Verhalten der NutzerInnen legen. Dabei sind sowohl die möglichen Interaktionswege, als auch die Art der Selbstdarstellung genau vorgegeben. Soziale Netzwerke sind abgeschlossene Systeme, in denen wir nur auf bestimmte Weise "funktionieren" können. Zwei Punkte, die dabei maßgeblich erscheinen, sind das Spannungsverhältnis von Individuum und Netzwerk und der (damit verbundene) Unterschied zwischen Individualität und Individualisierung.

    "Der Begriff der Individualisierung stammt aus der Soziologie und bezeichnet einen mit der Industrialisierung und Modernisierung der westlichen Gesellschaften einhergehenden Prozess eines Übergangs des Individuums von der Fremd- zur Selbstbestimmung.[...]" (aus Wikipedia)⁴

    Das Wort wird häufig im Zusammenhang mit Produkten, wie beispielsweise gravierten iPods gebraucht, und im Internet wird man immer wieder aufgefordert, sein "Profil zu individualisieren". Allein das Wort "Individualisierung" jedoch, erscheint als ein Paradoxon in sich: Wie ist es überhaupt möglich, etwas, sich selbst, oder gar einen anderen zu "individualisieren", "individuell zu machen"? In der Soziologie und in der Wirtschaft wird des weiteren von der "Individualisierung von Risiko" gesprochen, in Verbindung mit befristeten Arbeitsverträgen, Selbständigkeit, Lohndumping (Toyotismus). Bei der Individualisierung geht es also nicht wirklich um Individualität, sondern um Vereinzelung. Vereinzelung jedoch kann nicht die Individualität fördern, da das Individuelle meines Erachtens immer im Dialog, im Kontext sichtbar wird.

    "Das Problem, das sich uns heute stellt, ist nicht der Versuch, das Individuum vom Staat und dessen Institutionen zu befreien, sondern uns selbst vom Staat und der damit verbundenen Form der Individualisierung zu befreien. Wir müssen nach neuen Formen von Subjektivität suchen und die Art von Individualität zurückweisen, die man uns seit Jahrhunderten aufzwingt." (Michel Foucault)⁵

    2.1 Das Medium bin ich. Das Medium sind wir.

    Im digitalen Zeitalter, im kognitiven Kapitalismus, in dem Information und Imagination das wertvollste Gut sind, kämpfen wir ständig um unser Urheberrecht und unsere scheinbar damit verbundene Individualität. Das vermeintlich Neue entpuppt sich allerdings nicht selten als (unbewußtes) "Copy-and-Paste-Werk". Wir verarbeiten Angeeignetes, ohne seine Herkunft überhaupt in der Tiefe reflektieren zu können. Wir lassen uns treiben durch den Dschungel der Netzwerke und Suchmaschinen. Und obwohl wir offensichtlich pausenlos mit Targeted Advertising bombardiert werden, haben wir noch immer die Illusion, dass wir die Maschine kontrollieren: Wer hat die Zugangsberechtigung, wer kennt das Passwort, wer kann das lesen, bearbeiten, downloaden? Und schließlich freuen wir uns über jedes virtuelle Schulterklopfen, wie beispielsweise die "Likes" auf Facebook oder die wachsenden Zuschauerzahlen auf Youtube. Im einsamen Raum zwischen Bildschirm und Tastatur, verbunden mit der ganzen Welt, sind wir auf der Suche nach Bestätigung.

    Ist das Internet ein digitales Panopticon, dessen Insassen sich gegenseitig überwachen und disziplinieren? Oder kann es ein demokratisches Medium sein, das jedem einzelnen eine Stimme verleiht und vielleicht den herrschaftsfreien Diskurs ermöglicht? Wie müssten Systeme aussehen, um das Individuum dazu zu ermutigen, sich zu entfalten? Wenn "das Medium die Massage" (nach Marshall McLuhan)⁶ ist, drängt sich bezüglich des Kunstschaffens die Frage nach dem "Wie" auf. Wenn die Kunst zum Ziel hat, Einfluß auf gesellschaftliche Prozesse zu nehmen, ist es möglicherweise nötig, auch die eignen, künstlerischen Prozesse zu überdenken, zu erweitern und mit ihnen zu experimentieren. Das Internet ist viel mehr als ein Medium, das allen ermöglicht, ProduzentIn und RezipientIn zu sein: Es ist ein Medium, das allen ermöglicht, das Medium an sich zu verändern und weiter zu entwickeln. Und die Nutzer machen von diesen Möglichkeiten Gebrauch - unbewußt oder bewußt. Man könnte sagen, dass wir alle dieses Medium sind.

    1. Auf dem Weg zur demokratischen Kunst

    Eine demokratische Revolution bedeutet nicht zwingend, ein neues System zu entwickeln, aber das Bewusstsein dafür, dass man Teil des bestehenden Systems ist, dass man es hinterfragen und vor allem mitgestalten kann. In meiner künstlerischen Arbeit geht es mir daher nicht darum, ein weiteres Bild zu schaffen und die Aussage neben die anderen zu stellen. Ich will Bilder schaffen, die dazu anregen, eigene Bilder zu schaffen. Das Internet bietet dafür den perfekten Raum. Nachdem ich einige partizipatorische Netzkunst-Projekte verwirklicht habe, stellt sich mir nun die Frage nach den Möglichkeiten der Kollaboration. Hierbei interessieren mich vor allem Kommunikationsplattformen, sogenannte "Soziale Netzwerke", in denen die Individuen sich zur Multitude⁷ sammeln.

    3.1 Anonymous und die Netzkunstpioniere

    Wenn man heute nach Netzkunst aus den 90er Jahren recherchiert, wird schnell deutlich, dass vor allem partizipatorische und kollaborative Arbeiten den Wandel der Zeit überleben. Die meisten reaktiven Arbeiten von EinzelkünstlerInnen aus dieser Zeit sind mittlerweile unvollständig, nicht mehr funktionsfähig oder sogar völlig von der Bildfläche verschwunden. Partizipatorische Werke konnten sich eher mit der Technik weiterentwickeln, oder wurden, je nach Konzept weiterverbreitet und waren nicht an eine Domain oder einen Server gebunden. Die meisten der kollaborativen Werke, oder auch "Netzwerke" wie sie Tillman Baumgärtl nennt, sind zum Einen sehr gut dokumentiert und zum Anderen haben sich viele zu Netzkunst-Plattformen weiterentwickelt (wie zum Beispiel nettime.org oder rhizome.org), auf denen auch heute noch ein reger Austausch stattfindet.

    "Mit 'Netz-Werken' meine ich Kunstwerke, die vor allem im WorldWideWeb realisiert wurden, und als eigene, abgeschlossene Internet-Site konzipiert wurden. 'Netzwerke' sind dagegen die sozialen Zusammenschlüsse und Kollaborationen, die zum Beispiel auf Mailinglisten oder in anderen 'virtual communities' stattfinden." (Tillman Baumgärtl)⁸

    Diese frühen Künstler-Netzwerke, sind zweifellos die Vorreiter der großen kommerziellen Netzwerke von heute. Weiterhin sind Künstlergruppen mit wechselnden Mitgliedern und dem Focus auf Kollaboration zu nennen, wie das Critical Art Ensemble oder Knowbotic Research. Kollaboration muss allerdings weder in einer Gruppe stattfinden, noch ist sie zwingend abhängig vom Dialog. Ein Beispiel hierfür sind die über das Internet verbreiteten Sammelpseudonyme wie "Luther Blissett" oder "Karen Eliot", unter denen hunderte von KünstlerInnen Arbeiten veröffentlicht haben. So wird eine Vielfalt der Sichtweisen und Stile plötzlich in einer Person vereint und gleichzeitig finden besonders systemkritische Künstler und Aktivisten Schutz hinter dem Pseudonym. Kollaboration in Verbindung mit Pseudonymität ist schließlich das, was es 2011 ermöglicht hat, tausende Menschen in der Wallstreet und auf der ganzen Welt zum Protestieren zu bewegen - Anonymous, der uns alle dazu auffordert, selbst Anonymous zu sein.

    3.2 Anonymität, Kollaboration und subversive Strategien

    Die frühen Ansätze des Netzwerkgedankens möchte ich in meiner Arbeit wieder aufgreifen und vertiefen. Ich möchte ein Projekt oder einen Raum schaffen, in welchem Kollaboration radikal zu Ende gedacht wird, indem die Autorenschaft des Einzelnen verwischt wird, er sich aber dafür frei entfalten und ausleben kann. Anonymität soll dabei als Basis für echte Demokratie und zur Vermeidung vom Aufbau von Machtstrukturen dienen: Jeder kann, aber niemand muss diskutieren, weiterentwickeln, machen. Der gesellschaftliche Status einer Person ist beispielsweise bei Verwendung von Pseudonymen nicht ersichtlich, was dazu führt, dass allein Worte und Taten für sich sprechen. Dies ist eine Möglichkeit, die uns das Internet als Werkzeug bietet - wenn die Systeme nicht darauf ausgelegt sind, Menschen vornehmlich zur Eigenwerbung und gegenseitigen Ranking zu animieren. Im Rahmen meiner Diplomarbeit habe ich mich mit subversiven Strategien auseinandergesetzt, welche auch die Netzkunst charakterisieren. Die Idee, sich das allgemein Bekannte anzueignen und zu imitieren, um es dann zu verfälschen oder zu überhöhen, kann als einziger Ausweg aus dem Dilemma der Kulturindustrie gesehen werden. Horkheimer und Adorno beschreiben im gleichnamigen Aufsatz 1944⁹, wie die Kulturindustrie automatisch immer gleiche Inhalte reproduziert und damit den Status Quo der Gesellschaft festigt. Gerade das macht es schwierig für die Kunst, Kritik an jener Gesellschaft zu üben und so zu ihrer Weiterentwicklung beizutragen - das Außergewöhnliche wird in der permanenten Flut des immer Gleichen einfach nicht wahrgenommen. Da das menschliche Gehirn die ihm schon bekannten Muster und Inhalte leichter aufnimmt als neue oder ungewohnte Reize, ist es also ratsam, bereits etablierte Systeme und Formen zu adaptieren und nur gewisse Teile zu verändern, um so den neuen Inhalt in das Altbekannte einzuschleusen.

    "The 'art of being in between' is the art of popular culture. Using their products for our purposes is the art of being in between production and consumption, speaking is the art of being in between their language system and our material experience, cooking is the art of being in between their supermarket and our unique meal." (John Fiske)¹⁰ Liest man dieses berühmte Zitat von John Fiske (1987), wird deutlich, dass das Subversive schon dem Fertigprodukt inherent ist. Letztlich ist alles ein Remix, der immer neu aus dem schon Bestehenden geschaffen wird. Diese Methoden möchte ich in meinem geplanten Projekt nicht nur anwenden, sondern auch sichtbarmachen, zur Diskussion stellen und weiter fördern.

    1. Projektbeschreibung: Das soziale Kunstwerk, ein Online-Experiment

    Mit einem künstlerischen Experiment möchte ich daher versuchen, den Open-Source-Gedanken aus dem IT-Bereich auf die Kunst zu übertragen. Ich möchte eine Online-Plattform erstellen, die dazu dienen soll, künstlerische Ideen auszutauschen. Im Gegensatz zum vollendeten Werk, können Ideen, die noch nicht umgesetzt wurden, nach deutschem Recht ohnehin nicht urheberrechtlich geschützt werden. "Social Artwork" als offenes Netzwerk soll konsequent diese Freiheit der Ideen nutzen und ihre kollektive Entwicklung fördern: User können Projekte vorschlagen und diese gemeinsam oder auch unabhängig von einander verwirklichen. Die AutorIn kann, aber muss nicht zwangsläufig auch an der Durchführung ihrer Idee arbeiten und umgekehrt können Leute, die nicht Urheber einer Idee sind, diese einfach so, oder in abgewandelter Form, ausführen. So wäre es denkbar, dass viele Ideen, die KünstlerInnen alltäglich in den Sinn kommen, aber aufgrund von Zeit- oder Geldmangel wieder verworfen werden, doch noch realisiert werden. Durch offene Diskussionen können sich künstlerische Arbeiten inhaltlich verdichten, und durch die freie Vervielfältigung weit über den "Sende-Radius" der ursprünglichen AutorIn hinaus verbreiten. Es wäre beispielsweise möglich, eine Performance in unterschiedlichen Variationen überall auf der Welt gleichzeitig stattfinden zu lassen. Oder ein Streetart-Projekt könnte seine Spuren an sehr viel mehr Schauplätzen hinterlassen und auch prominente Orte wie zum Beispiel Ground Zero oder die Berliner Mauer leicht erreichen.

    Das Portal soll anfangs so einfach wie möglich strukturiert sein: Die grob nach Kategorien geordneten Projekte haben je eine eigene Seite, welche Informationen wie Projektbeschreibung und Bilder, aber auch eine Diskussionsplattform beinhaltet. Jeder Internetnutzer hat Zugriff auf die Projektseiten und jegliche damit verbundenen Informationen, auch ohne Registrierung. Ähnlich wie bei Open Source Foren im Bereich der Programmierung soll von vorn herein klar sein, dass eine Idee, die hochgeladen wird, automatisch von jedem jederzeit durchgeführt werden kann und der Uploader auf die alleinige Kontrolle über die weitere Entwicklung und Durchführung des Projekts verzichtet. 4.2 Von Facebook zum Antifacebook und zurück

    Obwohl ich bekannte Strukturen kommerzieller sozialer Netzwerke nutzen möchte, soll mein Netzwerk durch verändern einiger Faktoren eher eine Art "Anti-Facebook" sein: Ranking- und Kontrollfunktionen werden vermieden, auf User-Profile wird verzichtet. Entgegen des - gerade im Kunstbetrieb vorherrschenden - Personenkults und Selbstdarstellungszwangs sollen die User ohne Registrierung völlig anonym kommunizieren können. Der Fokus der Seite liegt ausschließlich auf dem Inhalt - den Projektideen, ohne Möglichkeit, diese zu bewerten. Es geht mir dabei darum, zuerst ein Negativ-Abbild von Facebook zu erstellen, eine Utopie eines neuen Systems zu realisieren.

    Falls nötig, werden Schritt für Schritt Funktionen wie Userprofile, Gruppen, Voting und Optionen zur Verknüpfung mit kommerziellen Netzwerken hinzugeschaltet werden, um die damit einhergehenden Veränderungen in der Entwicklungsweise der Projekte und im Verhalten der User zu untersuchen. Auf diese Weise würde sich das "utopische Netzwerk" Schritt für Schritt wieder dem vorherrschenden System annähern und die Bedeutung und Wirkungsweise einzelner Parameter würden sichtbar werden. Dabei interessieren mich vor allem Fragen bezüglich des Individuums im System: Wieviel virtuelle Identität braucht der Mensch? Fördert Konkurrenz im Sinne von Ranking wirklich die Weiterentwicklung des Einzelnen? Ist Bestätigung durch andere eine treibende Kraft, um selbst etwas zu schaffen? Verhält man sich weniger konform, wenn diese Einflüsse auf ein Minimum reduziert sind? Nicht zuletzt wird es interessant sein, zu beobachten, welche Kunstgenres durch welche Einstellungen dieses Systems gefördert oder verdrängt werden. Neben der Frage nach Qualität und Vielfalt durch Kollaboration in der Kunst im Allgemeinen wird mit diesem Projekt auch das Thema Identität und Individualisierung in Sozialen Netzwerken in Bezug auf den Künstler als "Prototyp eines Individualisten" aufgeworfen. Wenn wir bereit dazu sind, unsere Ideen frei heraus zu geben und offen genug sind, die Ideen anderer anzunehmen, hält dieses Experiment viele neue Möglichkeiten bereit. Es zielt darauf ab, die erzwungene Einzigartigkeit des Einzelnen zu überwinden und stattdessen Werke zu schaffen, die geprägt sind von der Vielfalt der Vielen.


    Quellenverzeichnis:

    ¹ Geert Lovink: New Media, Art and Science: Explorations Beyond the Official Discourse. In: Empires, Ruins + Networks: The Transcultural Agenda in Art (Hrsg. Scott McQuire and Nikos Papastergiadis). Melbourne: University of Melbourne Press, 2005

    ² Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: ders.: Illuminationen. Ausgewählte Schriften I, Frankfurt/M. 1977, S.17

    ³ Felix Stalder: Neun Thesen zur Remix-Kultur. im Rahmen des Projekts Arbeit 2.0 http://irights.info/index.php?id=573 Unter der Creative Commns by-nc-nd/3.0/de-Linzenz, 2009

    ⁴ Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Individualisierung, 10.12.2011

    ⁵ Michel Foucault: Analytik der Macht, 1982, S.250

    ⁶ nach Marshall McLuhan: vom Autor erwünschter Druckfehler im Titel seines Buches "The Medium is the Message", 1967

    ⁷ nach Paolo Virno: Grammatik der Multitude – Untersuchungen zu gegenwärtigen Lebensformen, 2002

    ⁸ Tillman Baumgärtl: Das Internet als imaginäres Museum. WZB Discussion Paper FS II 98-110. Wissenschaftszentrum Berlin, 1998

    ⁹ nach Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug. In Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt a.M, 1944

    ¹⁰ John Fiske: Understanding Popular Culture, 1987

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    An internet forum/ social network for Open Source Art projects: Artists always have unrealized ideas - things that just slumber in sketchbooks forever. We want to create a website, where users can propose such projects and leave it open for others to adop....

    Das soziale NetzKunstwerk

    Karen Eliot, 2011

    Inhalt:

    1. Das Internet - Spielplatz für Künstler?

    2. Individualität und Individualisierung im Netzwerk

      2.1 Das Medium bin ich. Das Medium sind wir.

    3. Auf dem Weg zur demokratischen Kunst

      3.1 Luther Blisset und die Netzkunstpioniere

      3.2 Anonymität, Kollaboration und subversive Strategien

    4. Projektbeschreibung: Das soziale Kunstwerk, ein Online-Experiment

      4.1 Von Facebook zum Antifacebook und zurück

    5. Das Internet - Spielplatz für Künstler?

    Mit dem Internet entwickelt sich ein digitales Abbild der Welt. Man kann es zum Beispiel betrachten, indem man mit dem Mouse-Cursor auf Google Earth über die Erdoberfläche fliegt. Und wenn man hinein-zoomt findet man Bilder des jeweiligen Ortes mit detaillierten Informationen zur jeweiligen Adresse und sogar den Menschen die dort wohnen. Es ist ein Abbild der Welt, das stetig expandiert. Wir leben und arbeiten sogar in diesem Bild. Und das Bild selbst verarbeitet weiter, indem es automatisch immer neue Ansichten generiert - es jedoch ein großes kollaboratives Kunstwerk zu nennen wäre wohl zu viel des Guten.

    Wenn man bei einer Suchmaschine für wissenschaftliche Texte das Wort "Internet" eingibt, findet man hunderte Arbeiten zum Thema aus dem Bereich Wirtschaft, einige aus den Medienwissenschaften, aber nur sehr wenige, die sich mit Kunst und dem Internet befassen. Die Netzkunst wurde von vielen zu Beginn des neuen Jahrtausends totgesagt und gleichzeitig entwickelt sich das Netz zum wichtigsten Medium unserer Zeit.

    "The Internet is looked down upon as a primitive device, left to an in-crowd of 'net artists' that prefer to do formalistic experiments, combined with an subversive political action every now and then [...]" schreibt Geert Lovink über die Kunstszene in seinem Essay "New Media, Art and Science: Explorations beyond the Official Discourse"¹. Während wir uns täglich durch eine Bilderflut von Werbung klicken, gibt es nach wie vor kaum künstlerische Reaktion, Nutzung, Präsenz. Und das, obwohl der virtuelle Raum ein Raum ist, der dringend künstlerischer Eroberung und Besetzung bedarf. Eine Erklärung für dieses Phänomen kann die Nicht-Verkäuflichkeit digitaler Werke sein, die sie für den Kunstmarkt uninteressant macht.

    "Die technische Reproduzierbarkeit der Filmwerke ist unmittelbar in der Technik ihrer Produktion begründet. Diese ermöglicht nicht nur auf die unmittelbarste Art die massenweise Verbreitung der Filmwerke, sie erzwingt sie vielmehr geradezu." stellt Walter Benjamin 1977 in "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit"² fest.

    Das Digitale ist nicht einmal mehr an Datenträger wie beispielsweise Filmrollen geknüpft, die Frage nach dem wertvollen "Original" wird damit endgültig obsolet. Es scheint als würde sich das Geistige, welches sich über Jahrhunderte in Objekten zu manifestieren und damit greifbar, konservierbar zu machen versuchte, auf der Suche nach dem geeignetsten Medium nun wieder in seine ihm ähnlichste Form auflösen - der Form einer "Cloud". Aufgrund der dem Internet inherenten unkontrollierbaren Vervielfältigung von Bildern, Texten und Kompositionen, bangen AutorInnen weltweit um ihr Copyright und die damit verbundene Sicherung ihrer Existenz. Die Verwertungsindustrie ist ratlos, denn natürlich gibt es für jedes virtuelle Schloß einen Hack und die Gedanken sind frei - frei verfügbar, nutzbar und modifizierbar.

    "Mit anderen Worten, das Konzept des Remixing ist charakteristisch für die Kultur der globalen Netzwerkgesellschaft, in einem ähnlichen Sinne wie Konzepte des originären Werkes und der autonomen Künstlerpersönlichkeiten kennzeichnend waren für die Kultur der bürgerlichen Moderne." (Felix Stalder: Neun Thesen zur Remix-Kultur, 2009)³

    Hier ist unsere Gesellschaft an einem Punkt angekommen, an dem man diese bestehenden, aber überholten Systeme und Denkmuster grundlegend hinterfragen und verändern muss, anstatt die Symptome der Nicht-Kompatibilität von Kunstfreiheit und Vermarktbarkeit zu bekämpfen. Speziell in Bezug auf das Internet als künstlerisches Werkzeug stellt sich mir die Frage, wie man es in den Kunstbetrieb integrieren und nutzen kann. Ist die Vorraussetzung dafür eine Demokratisierung der elitären und hierarchischen Strukturen in der Kunstwelt an sich? Was genau hindert KünstlerInnen daran, diesen unendlichen Bildraum, diesen Kommunikations-Spielplatz für sich zu erobern? Welche neuen Anforderungen stellt das Medium an die Kunst und - im Gegenzug - welche Ausdrucksmöglichkeiten eröffnet es? Wie kann man seine künstlerische Nutzung vorantreiben und Leerstellen mit Inhalt füllen, die momentan vor allem von Werbe-Popups und Datenverwertungs-Kraken über-plakatiert werden?

    1. Individualität und Individualisierung im Netzwerk

    Um diese Fragen zu erörtern, will ich einige Funktionsweisen von Sozialen Netzwerken im Internet in Bezug auf allgemeine gesellschaftliche Strukturen untersuchen. Plattformen wie Facebook oder Xing erscheinen mir wie Schablonen, die sich über das natürliche Verhalten der NutzerInnen legen. Dabei sind sowohl die möglichen Interaktionswege, als auch die Art der Selbstdarstellung genau vorgegeben. Soziale Netzwerke sind abgeschlossene Systeme, in denen wir nur auf bestimmte Weise "funktionieren" können. Zwei Punkte, die dabei maßgeblich erscheinen, sind das Spannungsverhältnis von Individuum und Netzwerk und der (damit verbundene) Unterschied zwischen Individualität und Individualisierung.

    "Der Begriff der Individualisierung stammt aus der Soziologie und bezeichnet einen mit der Industrialisierung und Modernisierung der westlichen Gesellschaften einhergehenden Prozess eines Übergangs des Individuums von der Fremd- zur Selbstbestimmung.[...]" (aus Wikipedia)⁴

    Das Wort wird häufig im Zusammenhang mit Produkten, wie beispielsweise gravierten iPods gebraucht, und im Internet wird man immer wieder aufgefordert, sein "Profil zu individualisieren". Allein das Wort "Individualisierung" jedoch, erscheint als ein Paradoxon in sich: Wie ist es überhaupt möglich, etwas, sich selbst, oder gar einen anderen zu "individualisieren", "individuell zu machen"? In der Soziologie und in der Wirtschaft wird des weiteren von der "Individualisierung von Risiko" gesprochen, in Verbindung mit befristeten Arbeitsverträgen, Selbständigkeit, Lohndumping (Toyotismus). Bei der Individualisierung geht es also nicht wirklich um Individualität, sondern um Vereinzelung. Vereinzelung jedoch kann nicht die Individualität fördern, da das Individuelle meines Erachtens immer im Dialog, im Kontext sichtbar wird.

    "Das Problem, das sich uns heute stellt, ist nicht der Versuch, das Individuum vom Staat und dessen Institutionen zu befreien, sondern uns selbst vom Staat und der damit verbundenen Form der Individualisierung zu befreien. Wir müssen nach neuen Formen von Subjektivität suchen und die Art von Individualität zurückweisen, die man uns seit Jahrhunderten aufzwingt." (Michel Foucault)⁵

    2.1 Das Medium bin ich. Das Medium sind wir.

    Im digitalen Zeitalter, im kognitiven Kapitalismus, in dem Information und Imagination das wertvollste Gut sind, kämpfen wir ständig um unser Urheberrecht und unsere scheinbar damit verbundene Individualität. Das vermeintlich Neue entpuppt sich allerdings nicht selten als (unbewußtes) "Copy-and-Paste-Werk". Wir verarbeiten Angeeignetes, ohne seine Herkunft überhaupt in der Tiefe reflektieren zu können. Wir lassen uns treiben durch den Dschungel der Netzwerke und Suchmaschinen. Und obwohl wir offensichtlich pausenlos mit Targeted Advertising bombardiert werden, haben wir noch immer die Illusion, dass wir die Maschine kontrollieren: Wer hat die Zugangsberechtigung, wer kennt das Passwort, wer kann das lesen, bearbeiten, downloaden? Und schließlich freuen wir uns über jedes virtuelle Schulterklopfen, wie beispielsweise die "Likes" auf Facebook oder die wachsenden Zuschauerzahlen auf Youtube. Im einsamen Raum zwischen Bildschirm und Tastatur, verbunden mit der ganzen Welt, sind wir auf der Suche nach Bestätigung.

    Ist das Internet ein digitales Panopticon, dessen Insassen sich gegenseitig überwachen und disziplinieren? Oder kann es ein demokratisches Medium sein, das jedem einzelnen eine Stimme verleiht und vielleicht den herrschaftsfreien Diskurs ermöglicht? Wie müssten Systeme aussehen, um das Individuum dazu zu ermutigen, sich zu entfalten? Wenn "das Medium die Massage" (nach Marshall McLuhan)⁶ ist, drängt sich bezüglich des Kunstschaffens die Frage nach dem "Wie" auf. Wenn die Kunst zum Ziel hat, Einfluß auf gesellschaftliche Prozesse zu nehmen, ist es möglicherweise nötig, auch die eignen, künstlerischen Prozesse zu überdenken, zu erweitern und mit ihnen zu experimentieren. Das Internet ist viel mehr als ein Medium, das allen ermöglicht, ProduzentIn und RezipientIn zu sein: Es ist ein Medium, das allen ermöglicht, das Medium an sich zu verändern und weiter zu entwickeln. Und die Nutzer machen von diesen Möglichkeiten Gebrauch - unbewußt oder bewußt. Man könnte sagen, dass wir alle dieses Medium sind.

    1. Auf dem Weg zur demokratischen Kunst

    Eine demokratische Revolution bedeutet nicht zwingend, ein neues System zu entwickeln, aber das Bewusstsein dafür, dass man Teil des bestehenden Systems ist, dass man es hinterfragen und vor allem mitgestalten kann. In meiner künstlerischen Arbeit geht es mir daher nicht darum, ein weiteres Bild zu schaffen und die Aussage neben die anderen zu stellen. Ich will Bilder schaffen, die dazu anregen, eigene Bilder zu schaffen. Das Internet bietet dafür den perfekten Raum. Nachdem ich einige partizipatorische Netzkunst-Projekte verwirklicht habe, stellt sich mir nun die Frage nach den Möglichkeiten der Kollaboration. Hierbei interessieren mich vor allem Kommunikationsplattformen, sogenannte "Soziale Netzwerke", in denen die Individuen sich zur Multitude⁷ sammeln.

    3.1 Anonymous und die Netzkunstpioniere

    Wenn man heute nach Netzkunst aus den 90er Jahren recherchiert, wird schnell deutlich, dass vor allem partizipatorische und kollaborative Arbeiten den Wandel der Zeit überleben. Die meisten reaktiven Arbeiten von EinzelkünstlerInnen aus dieser Zeit sind mittlerweile unvollständig, nicht mehr funktionsfähig oder sogar völlig von der Bildfläche verschwunden. Partizipatorische Werke konnten sich eher mit der Technik weiterentwickeln, oder wurden, je nach Konzept weiterverbreitet und waren nicht an eine Domain oder einen Server gebunden. Die meisten der kollaborativen Werke, oder auch "Netzwerke" wie sie Tillman Baumgärtl nennt, sind zum Einen sehr gut dokumentiert und zum Anderen haben sich viele zu Netzkunst-Plattformen weiterentwickelt (wie zum Beispiel nettime.org oder rhizome.org), auf denen auch heute noch ein reger Austausch stattfindet.

    "Mit 'Netz-Werken' meine ich Kunstwerke, die vor allem im WorldWideWeb realisiert wurden, und als eigene, abgeschlossene Internet-Site konzipiert wurden. 'Netzwerke' sind dagegen die sozialen Zusammenschlüsse und Kollaborationen, die zum Beispiel auf Mailinglisten oder in anderen 'virtual communities' stattfinden." (Tillman Baumgärtl)⁸

    Diese frühen Künstler-Netzwerke, sind zweifellos die Vorreiter der großen kommerziellen Netzwerke von heute. Weiterhin sind Künstlergruppen mit wechselnden Mitgliedern und dem Focus auf Kollaboration zu nennen, wie das Critical Art Ensemble oder Knowbotic Research. Kollaboration muss allerdings weder in einer Gruppe stattfinden, noch ist sie zwingend abhängig vom Dialog. Ein Beispiel hierfür sind die über das Internet verbreiteten Sammelpseudonyme wie "Luther Blissett" oder "Karen Eliot", unter denen hunderte von KünstlerInnen Arbeiten veröffentlicht haben. So wird eine Vielfalt der Sichtweisen und Stile plötzlich in einer Person vereint und gleichzeitig finden besonders systemkritische Künstler und Aktivisten Schutz hinter dem Pseudonym. Kollaboration in Verbindung mit Pseudonymität ist schließlich das, was es 2011 ermöglicht hat, tausende Menschen in der Wallstreet und auf der ganzen Welt zum Protestieren zu bewegen - Anonymous, der uns alle dazu auffordert, selbst Anonymous zu sein.

    3.2 Anonymität, Kollaboration und subversive Strategien

    Die frühen Ansätze des Netzwerkgedankens möchte ich in meiner Arbeit wieder aufgreifen und vertiefen. Ich möchte ein Projekt oder einen Raum schaffen, in welchem Kollaboration radikal zu Ende gedacht wird, indem die Autorenschaft des Einzelnen verwischt wird, er sich aber dafür frei entfalten und ausleben kann. Anonymität soll dabei als Basis für echte Demokratie und zur Vermeidung vom Aufbau von Machtstrukturen dienen: Jeder kann, aber niemand muss diskutieren, weiterentwickeln, machen. Der gesellschaftliche Status einer Person ist beispielsweise bei Verwendung von Pseudonymen nicht ersichtlich, was dazu führt, dass allein Worte und Taten für sich sprechen. Dies ist eine Möglichkeit, die uns das Internet als Werkzeug bietet - wenn die Systeme nicht darauf ausgelegt sind, Menschen vornehmlich zur Eigenwerbung und gegenseitigen Ranking zu animieren. Im Rahmen meiner Diplomarbeit habe ich mich mit subversiven Strategien auseinandergesetzt, welche auch die Netzkunst charakterisieren. Die Idee, sich das allgemein Bekannte anzueignen und zu imitieren, um es dann zu verfälschen oder zu überhöhen, kann als einziger Ausweg aus dem Dilemma der Kulturindustrie gesehen werden. Horkheimer und Adorno beschreiben im gleichnamigen Aufsatz 1944⁹, wie die Kulturindustrie automatisch immer gleiche Inhalte reproduziert und damit den Status Quo der Gesellschaft festigt. Gerade das macht es schwierig für die Kunst, Kritik an jener Gesellschaft zu üben und so zu ihrer Weiterentwicklung beizutragen - das Außergewöhnliche wird in der permanenten Flut des immer Gleichen einfach nicht wahrgenommen. Da das menschliche Gehirn die ihm schon bekannten Muster und Inhalte leichter aufnimmt als neue oder ungewohnte Reize, ist es also ratsam, bereits etablierte Systeme und Formen zu adaptieren und nur gewisse Teile zu verändern, um so den neuen Inhalt in das Altbekannte einzuschleusen.

    "The 'art of being in between' is the art of popular culture. Using their products for our purposes is the art of being in between production and consumption, speaking is the art of being in between their language system and our material experience, cooking is the art of being in between their supermarket and our unique meal." (John Fiske)¹⁰ Liest man dieses berühmte Zitat von John Fiske (1987), wird deutlich, dass das Subversive schon dem Fertigprodukt inherent ist. Letztlich ist alles ein Remix, der immer neu aus dem schon Bestehenden geschaffen wird. Diese Methoden möchte ich in meinem geplanten Projekt nicht nur anwenden, sondern auch sichtbarmachen, zur Diskussion stellen und weiter fördern.

    1. Projektbeschreibung: Das soziale Kunstwerk, ein Online-Experiment

    Mit einem künstlerischen Experiment möchte ich daher versuchen, den Open-Source-Gedanken aus dem IT-Bereich auf die Kunst zu übertragen. Ich möchte eine Online-Plattform erstellen, die dazu dienen soll, künstlerische Ideen auszutauschen. Im Gegensatz zum vollendeten Werk, können Ideen, die noch nicht umgesetzt wurden, nach deutschem Recht ohnehin nicht urheberrechtlich geschützt werden. "Social Artwork" als offenes Netzwerk soll konsequent diese Freiheit der Ideen nutzen und ihre kollektive Entwicklung fördern: User können Projekte vorschlagen und diese gemeinsam oder auch unabhängig von einander verwirklichen. Die AutorIn kann, aber muss nicht zwangsläufig auch an der Durchführung ihrer Idee arbeiten und umgekehrt können Leute, die nicht Urheber einer Idee sind, diese einfach so, oder in abgewandelter Form, ausführen. So wäre es denkbar, dass viele Ideen, die KünstlerInnen alltäglich in den Sinn kommen, aber aufgrund von Zeit- oder Geldmangel wieder verworfen werden, doch noch realisiert werden. Durch offene Diskussionen können sich künstlerische Arbeiten inhaltlich verdichten, und durch die freie Vervielfältigung weit über den "Sende-Radius" der ursprünglichen AutorIn hinaus verbreiten. Es wäre beispielsweise möglich, eine Performance in unterschiedlichen Variationen überall auf der Welt gleichzeitig stattfinden zu lassen. Oder ein Streetart-Projekt könnte seine Spuren an sehr viel mehr Schauplätzen hinterlassen und auch prominente Orte wie zum Beispiel Ground Zero oder die Berliner Mauer leicht erreichen.

    Das Portal soll anfangs so einfach wie möglich strukturiert sein: Die grob nach Kategorien geordneten Projekte haben je eine eigene Seite, welche Informationen wie Projektbeschreibung und Bilder, aber auch eine Diskussionsplattform beinhaltet. Jeder Internetnutzer hat Zugriff auf die Projektseiten und jegliche damit verbundenen Informationen, auch ohne Registrierung. Ähnlich wie bei Open Source Foren im Bereich der Programmierung soll von vorn herein klar sein, dass eine Idee, die hochgeladen wird, automatisch von jedem jederzeit durchgeführt werden kann und der Uploader auf die alleinige Kontrolle über die weitere Entwicklung und Durchführung des Projekts verzichtet. 4.2 Von Facebook zum Antifacebook und zurück

    Obwohl ich bekannte Strukturen kommerzieller sozialer Netzwerke nutzen möchte, soll mein Netzwerk durch verändern einiger Faktoren eher eine Art "Anti-Facebook" sein: Ranking- und Kontrollfunktionen werden vermieden, auf User-Profile wird verzichtet. Entgegen des - gerade im Kunstbetrieb vorherrschenden - Personenkults und Selbstdarstellungszwangs sollen die User ohne Registrierung völlig anonym kommunizieren können. Der Fokus der Seite liegt ausschließlich auf dem Inhalt - den Projektideen, ohne Möglichkeit, diese zu bewerten. Es geht mir dabei darum, zuerst ein Negativ-Abbild von Facebook zu erstellen, eine Utopie eines neuen Systems zu realisieren.

    Falls nötig, werden Schritt für Schritt Funktionen wie Userprofile, Gruppen, Voting und Optionen zur Verknüpfung mit kommerziellen Netzwerken hinzugeschaltet werden, um die damit einhergehenden Veränderungen in der Entwicklungsweise der Projekte und im Verhalten der User zu untersuchen. Auf diese Weise würde sich das "utopische Netzwerk" Schritt für Schritt wieder dem vorherrschenden System annähern und die Bedeutung und Wirkungsweise einzelner Parameter würden sichtbar werden. Dabei interessieren mich vor allem Fragen bezüglich des Individuums im System: Wieviel virtuelle Identität braucht der Mensch? Fördert Konkurrenz im Sinne von Ranking wirklich die Weiterentwicklung des Einzelnen? Ist Bestätigung durch andere eine treibende Kraft, um selbst etwas zu schaffen? Verhält man sich weniger konform, wenn diese Einflüsse auf ein Minimum reduziert sind? Nicht zuletzt wird es interessant sein, zu beobachten, welche Kunstgenres durch welche Einstellungen dieses Systems gefördert oder verdrängt werden. Neben der Frage nach Qualität und Vielfalt durch Kollaboration in der Kunst im Allgemeinen wird mit diesem Projekt auch das Thema Identität und Individualisierung in Sozialen Netzwerken in Bezug auf den Künstler als "Prototyp eines Individualisten" aufgeworfen. Wenn wir bereit dazu sind, unsere Ideen frei heraus zu geben und offen genug sind, die Ideen anderer anzunehmen, hält dieses Experiment viele neue Möglichkeiten bereit. Es zielt darauf ab, die erzwungene Einzigartigkeit des Einzelnen zu überwinden und stattdessen Werke zu schaffen, die geprägt sind von der Vielfalt der Vielen.


    Quellenverzeichnis:

    ¹ Geert Lovink: New Media, Art and Science: Explorations Beyond the Official Discourse. In: Empires, Ruins + Networks: The Transcultural Agenda in Art (Hrsg. Scott McQuire and Nikos Papastergiadis). Melbourne: University of Melbourne Press, 2005

    ² Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, in: ders.: Illuminationen. Ausgewählte Schriften I, Frankfurt/M. 1977, S.17

    ³ Felix Stalder: Neun Thesen zur Remix-Kultur. im Rahmen des Projekts Arbeit 2.0 http://irights.info/index.php?id=573 Unter der Creative Commns by-nc-nd/3.0/de-Linzenz, 2009

    ⁴ Wikipedia, http://de.wikipedia.org/wiki/Individualisierung, 10.12.2011

    ⁵ Michel Foucault: Analytik der Macht, 1982, S.250

    ⁶ nach Marshall McLuhan: vom Autor erwünschter Druckfehler im Titel seines Buches "The Medium is the Message", 1967

    ⁷ nach Paolo Virno: Grammatik der Multitude – Untersuchungen zu gegenwärtigen Lebensformen, 2002

    ⁸ Tillman Baumgärtl: Das Internet als imaginäres Museum. WZB Discussion Paper FS II 98-110. Wissenschaftszentrum Berlin, 1998

    ⁹ nach Max Horkheimer, Theodor W. Adorno: Kulturindustrie – Aufklärung als Massenbetrug. In Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt a.M, 1944

    ¹⁰ John Fiske: Understanding Popular Culture, 1987